Die Unternehmen transformieren heftig in die Agilität, Teams werden divers, Kunden pendeln zwischen Onlinekauf, Kataloghandel und Realityshop, verlaufen sich dabei gelegentlich auch im Multichannel – kurzum: die Verkaufswelt wandelt sich so rasant wie nie zuvor. Einer der wichtigsten Trends im B2B ist der Wandel vom Produkt-/Serviceverkauf hin zum “Solution Selling” oder auch “Value Oriented Selling”. Der Kunde erwartet mehr und, sofern die Qualifikation des Verkäufers seiner Wahl stimmt, bekommt er inzwischen auch mehr.
Value Oriented Selling. Was bedeutet das?
Bisher drehen sich in B2B-Geschäften die Verkaufsgespräche sehr häufig um drei Aspekte: Produktmerkmale (bzw. auch Dienstleistungsinhalte), Verfügbarkeiten und Konditionen. Gelegentlich runden vor allem beim Einstieg bei Neukunden noch mehr oder weniger gelungene Darstellung des eigenen Unternehmens und der eigenen USP‘s[1] die Präsentationsphase ab. Entsprechend waren und sind die Kenntnisse der Verkäufer genau darauf ausgerichtet.
Oftmals sind das Mitarbeiter, die aus den technischen Fachabteilungen heraus rekrutiert wurden, hervorragende Produktkenntnisse einbrachten, gelegentlich noch kaufmännisches Wissen erwarben und dann in Trainings ihren rhetorischen Feinschliff erhielten. Das ist in vielen Branchen so, wie zum Beispiel bei Automotive, Maschinenbau, Werkzeughandel oder auch die Medizintechnik.
Inzwischen nutzen die Kunden im B2B-Bereich sehr professionell einen Mix an Möglichkeiten für ihre Beschaffung. Was standardisierbar ist, vor allem bei Commoditiy[2] das wird weitestgehend auf elektronischem Wege abgewickelt, Prozesse werden dadurch noch „leaner“, komfortabler und auch schneller. Beratung und Service werden aus dem Innendienst heraus geleistet. Im Werkzeughandel sind inzwischen Ausgabesysteme im Einsatz, die sich für Nachbestellungen selbständig beim Lieferanten melden und Bestell-/Lieferprozesse einleiten. Der Einsatz selbstlernender, KI[3]-basierter ist abzusehen und macht in einigen Anwendungsfeldern durchaus Sinn.
Finden tatsächlich persönliche Begegnungen zwischen Verkäuferaußendienst und Kunde statt, dann sind die Erwartungen vor Ort einfach andere, nämlich höhere geworden. Der Verkäufer füllt keinen Auftragsblock mehr aus und Konditionen sind oft für einen längeren Zeitraum bereits verhandelt und festgezurrt. Investieren Kunden Zeit in Gespräche, muss einfach mehr herauskommen, als das, was ohne Zutun im Netz oder per Telefon zu erledigen möglich ist.
Die Erwartung konkret: Der Kunde will in seiner Welt, bei seinen Zielen und Vorhaben, bei seiner Motivation und in seiner besonderen Individualität verstanden und – im Idealfall – weitergebracht werden. Er will einen weiterreichenderen Mehrwert als bisher erfahren und nutzen können. Value Oriented Selling, das bedeutet, gemeinsam mit dem Kunden Mehrwerte schaffen, die sich an den Zielen des Unternehmens orientieren. Solution Selling, das bedeutet, gemeinsam mit dem Kunden Aufgabenstellungen in diesem Zusammenhang für die Zukunft zu entwickeln und zu lösen. Beides kann über die Lösung rein technischer, unmittelbarer Fragestellungen deutlich hinausgehen.
Was wird anders?
Vor allem die Gesprächsinhalte verändern, besser gesagt erweitern sich. Zu den bisherigen Inhalten (Produkte, technische Eigenschaften usw.) gesellen sich vor allem die Aspekte, die mit Markt und Betriebswirtschaft zu tun haben. Von Prozessoptimierungen, über Kostensenkungen, neue Logistikwege bis hin zu Produktneuentwicklungen oder generelle Veränderungen des Geschäftsmodells – der Themenkreis ist so offen und so individuell, wie es Individualität von Unternehmen und Kunden gibt.
im Verkaufsgespräch wird sich u.a die Bedarfsanalyse inhaltlich deutlich verändern. Um gemeinsam mit dem Kunden eine erfolgreiche Perspektive für die Zusammenarbeit skizzieren zu können, sind zusätzliche, weitreichenderer Inhalte auf den Tisch zu bringen. „Wie unterscheidet sich Ihr Unternehmen von Ihren Wettbewerbern am Markt“ „Was sind die strategisch aktuell wichtigsten Projekte in Ihrem Unternehmen?“ „Wo sehen Sie die aktuell größten Hürden bei der Erreichung Ihrer Ziele?“ ergänzen die Bedarfsanalyse um wichtige Inhalte.
Aufqualifizierung
Für viele Verkaufsmitarbeiter kommen hier neue, noch ungewohnte Themen auf sie zu. Ein konzentrierter Wissenserwerb, Praxistraining und Übung sind angesagt. Das Verständnis der eigenen Rolle wird weiterentwickelt und die Arbeitsziele erweitert. Inhalte aus der Betriebswirtschaft und Marktwissen betten Produkt- und Servicekenntnisse in ein Mehrwertverständnis ein. Etwas theoretischer ausgedrückt betrachtet der Verkäufer (zusammen mit dem Kunden) alles auch aus der Metaebene und nicht nur aus der Anwendungssicht.
Die Vorbereitung auf Kundentermine wird künftig die Nutzung von Business-Netzwerken wie zum Beispiel XING oder LinkedIn zur Vorinformation als Standard mit einbeziehen. Wertvolle Informationen für den Akquise- und Beratungsprozess können hier abgegriffen und gleichzeitig – mit dem eigenen Profil – zur Verfügung gestellt werden. Der praktische Umgang damit ist für viele immer noch ungewohnt, der konkrete, wirklich wertvolle Nutzen von Business-Netzwerksystemen oft nicht bekannt.
Methodisch steht insgesamt eine etwas andere Gesprächsführung an, bei der besonders die Bedarfsanalyse und die Skizzierung von Perspektiven als besondere Trainingsinhalte hervorheben. Dazu gehört auch die Fähigkeit, typische Arbeitsmittel aus der Ideen- und Konzeptentwicklung gekonnt einzusetzen, vom Flipchartgebrauch, über MindMapping bis hin zum Einsatz von Moderationsmethoden.
Chance und Fazit
Die Aufqualifizierung der Vertriebsarbeit birgt tolle neue Chancen, Kunden zu begeistern und Kundenbeziehungen auszubauen. Dabei geht es auf Verkäuferseite nicht darum, bisher Erlerntes abzulösen, sondern darum, die Qualifikation für ein besseres Kundenverständnis zu erweitern. Aus Spezialisten werden zunehmend Generalisten, aus Produktexperten Kundenversteher mit mehr Einfluss auf die Zusammenarbeit zwischen den Geschäftspartnern. Gerade langjährige Mitarbeiter können hier ihre ganze Reife und Erfahrung aus vielen Kundengesprächen und Projekten einsetzen und für den gemeinsamen Erfolg nutzen.
von Karl Heinz Lorenz, Trainer bei Lorenz-Seminare
[1] USP=Unique Selling Proposition
[2] Commodity=Handelsware; austauschbare Standardware, die bei vielen Lieferanten in vergleichbarer Qualität zu beziehen ist
[3] KI=Künstliche Intelligenz
[4] Metaebene: übergeordnete Stufe, Ebene; Ebene, die dahintersteht, die der eigentliche Ausgangspunkt bei etwas ist