Moderne Führungssysteme in der Praxis - Teil 1 | Lorenz-Seminare

“Der Mensch ist unser größtes Kapital. Darum steht er im Mittelpunkt unserer Anstrengungen.” So oder so ähnlich lesen wir es häufig auf Unternehmens-Websites und dort in den Leitlinien oder den festgeschriebenen Führungsgrundätzen. Aber stimmt das tatsächlich? Werden wirklich alle Anstrengungen unternommen, um dem Menschen im Unternehmen gerecht zu werden? Diese Fragen führen uns in diesem Artikel zu einer Betrachtung der heute eingesetzten Führungspraktiken.

Führen heißt Lenken

Führen im Kontext der unternehmerischen Erfolgsorientierung bedeutet nicht alleine, Arbeit zu koordinieren und zu delegieren, Entscheidungen zu treffen oder mit den Hierarchien innerhalb einer Organisation und der übertragenen Personalverantwortung bestmöglich zurecht zu kommen. Führung geschieht nicht zum Selbstzweck, es sollen vielmehr Ziele verfolgt und erreicht werden. Dazu sollen Menschen bewusst in eine Richtung gelenkt bzw. zu einem bestimmten Verhalten gebracht werden. Nun ist bereits viel darüber zu lesen, wie Führungskräfte dies im Einzelnen umsetzen und welche verschiedenen Führungsstile sich im Laufe der Zeit daraus entwickelt haben. Wir wollen hier insbesondere der Frage nachgehen, welche Führungssysteme in den Unternehmen im Einsatz sein sollten und inwieweit diese geeignet sind, den Führungskräften eine leistungs- und mitarbeiterorientierte Zielerreichung zu gewährleisten.

Führen mit Zielen

Um Ziele zu erreichen, müssen zunächst einmal Ziele gesetzt werden. So banal das klingt, hier findet sich bereits der erste Stolperstein, vor allem für zahlreiche Betriebe aus dem Mittelstand. Unternehmen müssen sich aber positionieren, sie brauchen eine Stoßrichtung. Die Mitarbeiter wollen wissen, wo die Reise hingehen soll. Eine Zielsetzung bringt die Aufgaben im Alltag in einen Kontext, der hilft zu verstehen, warum was mit welcher Priorität zu tun ist. Ohne Ziele sucht sich jeder eine Marschrichtung aus, von der er meint, es sollte die Richtige sein. Die Streuung ist zwangsläufig so groß, dass es eine Herausforderung darstellt, doe Mitarbeiter dann wieder “einzufangen”.

Also lassen es erfolgsorientierte Unternehmen gar nicht so weit kommen und geben von der Unternehmensspitze Ziele vor, an denen sich alle Bereiche ausrichten können. Die Ziele werden dann durch die verschiedenen Hierarchieebenen hindurchgereicht und schließlich bis auf persönliche Einzelziele heruntergebrochen. Immerhin hat jeder das Recht, seinen Beitrag zum Gesamtziel zu kennen und auch, daran gemessen zu werden.

Nun ist das Führen mit Zielen nicht gerade neu, “MbO” (Management by Objectives) existiert bereits seit den 50er Jahren des letzten Jahrtausends. Modern daran ist einerseits, dass die Vorgehensweise bis heute ihre Berechtigung hat und damit aus dem Set erfolgreicher Führungssysteme nicht wegzudenken ist. Zum anderen kommt es für den Erfolg – wie so oft – darauf an, sich mit dem “wie” auseinanderzusetzen. Erfolgreicher sind zum Beispiel die Führungskräfte, die Ziele nicht aufoktroyieren sondern mit ihren Mitarbeitern vereinbaren, die realistisch erreichbare Ziele setzen, diese klar formulieren und messbar machen, die die Zielerreichung fair bewerten und diese zusätzlich mit finanziellen Anreizen verbinden.

Mitarbeiterbeurteilung

Sich messen zu lassen bedeutet in der Praxis nichts anderes als sich einer Beurteilung zu unterziehen. Auch wenn es für manche zu sehr auf den Begriff der “Leistungsgesellschaft” hinausläuft: Arbeitsleistung muss, wenn sie nicht zur Beschäftigungstherapie vorkommen soll, regelmäßig auf ihre Effektivität, Effizienz und Vereinbarkeit mit den gesetzten Zielen hin überprüft werden. Diesem “Muss” aus betrieblicher Sicht steht auch das Wollen aus Mitarbeitersicht gegenüber. Ja, Sie hören richtig, es ist ein Irrglaube, dass die meisten Mitarbeiter Beurteilungen grundsätzlich als unangenehm empfinden. Das erkennen Sie schnell dann, wenn Menschen über längere Zeit kein Feedback über ihre Leistung erhalten. Es entsteht der Wunsch, zurückgemeldet zu bekommen: Wo stehe ich? Wie wird meine Leistung gesehen und wie trage ich zum gemeinsamen Unternehmenserfolg bei? Dahinter steht auch, und das ist sehr menschlich, das Bedürfnis nach Lob, Anerkennung, Bestätigung und Wertschätzung. Lassen Sie uns hier noch einen Schritt weitergehen und es als Anrecht eines jeden Mitarbeiters definieren, mindestens 1x im Jahr eine fundierte, sachliche und ehrliche Rückmeldung zu seiner Leistung zu erhalten, schließlich bewerten wir eines der höchsten Güter eines Menschen, seine ins Unternehmen eingebrachte Arbeitskraft. Wer als Führungsverantwortlicher nun kritisiert, dass das alles zu viel Zeit in Anspruch nimmt und doch nur vom operativen Geschäft abhält, dem sei gesagt, dass gerade Beurteilen und Rückmelden zentrale Elemente des Führens sind, also die Daseinsberechtigung einer Führungskraft überhaupt erst ausmachen.

Leistung und Potenzial

Die bisher beleuchteten Führungssysteme gestalten sich noch zielführender, sobald wir die eindimensionale Ebene der reinen Leistungsbeurteilung verlassen und sie um die Betrachtung des Potenzials ergänzen. Mit dieser Kombination aus Leistungs- und Potenzialbewertung schaffen Sie ein sehr aussagekräftiges System, mit dem Sie Führung erfolgreich gestalten können.

Da der Begriff “Potenzial” auch in den Naturwissenschaften verwendet wird, gibt es hierfür zahlreiche Definitionen. Eine weiche aber in den Kontext der Personalführung passende Definition ist die Beschreibung als “eine (noch) nicht ausgeschöpfte Möglichkeit zur Kraftentfaltung”. Der spätlateinische Wortstamm bedeutet dabei so viel wie “Vermögen”, es geht also um Befähigung.

Um die relevanten Befähigungen der Menschen in Unternehmen fundiert analysieren und beschreiben zu können, werden in der Praxis häufig Kompetenzen definiert und klassifiziert. Der planvolle Einsatz dieser Komponenten, nennen wir ihn hier einmal “Kompetenzmanagement”, behandelt ein bereits für sich schon umfangreiches Thema, auf das wir im Detail an anderer Stelle noch einmal eingehen werden.

Im Zusammenhang mit dem Führungssystem “Potenzialanalyse” gilt vereinfacht: es wird für jedes definierte Kompetenzfeld ein Abgleich zwischen einer (Soll)-Anforderung und einer (Ist)-Ausprägung vorgenommen und bewertet. So deutet beispielsweise eine starke Ausprägung innerhalb einer Kompetenz auf ein entsprechend hohes Potenzial hin, überschreitet die beobachtete Ausprägung die Anforderung, so kann man auf die Befähigung zu weiterführenden Aufgaben schließen, niedrige Ausprägungen sollten durch Trainings verbessert werden, usw.

Die Ergebnisse aus Leistungs- und Potenzialbeurteilung in einer gemeinsamen Übersicht abgetragen sind dabei weit aussagekräftiger, als die einer reinen Leistungsbeurteilung. Als Teil der regelmäßigen Beurteilungen sind Potenzialanalysen damit als Steuerungselement für Personalführungsentscheidungen, zum Beispiel im Rahmen von Personal- und Nachfolgeplanung, gut geeignet. Trotz den genannten Vorteilen ist die Berücksichtigung von Potenzialen in den Unternehmen leider bei weitem (noch) nicht so verbreitet, wie das Führen mit Zielen oder die Durchführung regelmäßiger Leistungsbeurteilungen.

Schlusskapitel

Das Führen mit Zielen und regelmäßig durchgeführte Leistungs- und Potenzialanalysen sind wichtige Systeme in der Führungskultur eines Unternehmens. Sie alleine garantieren den Erfolg natürlich nicht, bilden jedoch eine wichtige Grundlage für die leistungs- und mitarbeiterbezogene Führung. Dazu müssen sie auch im Einklang mit den anderen Führungssystemen im Unternehmen stehen, wie zum Beispiel der Personal- und Führungskompetenzentwicklung. Zudem sind sie Bestandteil der aktuell diskutierten Personalthemen, wie z.B. Talent Management oder Mitarbeiterbindung und Employer Branding. Auf diese Instrumente werden wir im Rahmen der Fortsetzung dieses Artikels noch näher eingehen.

von Uwe Conradi, Trainer bei Lorenz-Seminare