Die digitale Transformation verändert unsere Welt radikal. Auch die Art und Weise wie wir miteinander kommunizieren und umgehen. Wir benötigen nicht einmal mehr die Gleichzeitigkeit von Zeit und Raum, um uns mit anderen zu treffen und auszutauschen. Ob in einem Webmeeting, einem Youtube-Clip oder direkt per Facetime auf dem Smartphone – wir haben eine breite technische Basis geschaffen, um unsere Kommunikation neu zu gestalten. Die Übertragung von Bildern und damit auch von Körpersprache ist essentiell für die Wirkung unserer Botschaften an andere, oder, beim Empfang, das Verstehen der Mitteilungen, die uns erreichen. Körpersprachliche Signale bewusst zu verstehen und einsetzen zu können, ist für den privaten Bereich hilfreich und für den Professional unverzichtbar.
Der Körper spricht immer mit
Die allererste Sprache, die wir Menschen erlernen und zeigen, ist die Körpersprache. Egal, ob wir uns wohlfühlen, Hunger verspüren, Zuneigung oder einfach mal unsere Ruhe brauchen – schon als Baby und Kleinkind drücken wir uns recht klar aus. Die Fähigkeit zu dieser Sprache ist uns quasi in die Wiege gelegt und sie ist lebenslang ein Teil von uns. Wenn wir sie allerdings nicht bewusst gebrauchen, uns nicht im Gebrauch dieser Sprache üben, dann gleitet sie in unsere unterbewussten Fähigkeiten. Diese stehen uns dann eher intuitiv zur Verfügung und nicht mehr als greifbare Kommunikationswerkzeuge innerhalb unserer kognitiven Reichweite. Wir fühlen und ahnen zwar etwas bei der Wahrnehmung eines Gesprächspartners, können jedoch die Signale nicht konkret genug in unser Verhalten uns selbst und anderen gegenüber einbeziehen. Körpersprache benötigt ebenso Übung im Gebrauch wie alle anderen Ausdrucksformen, über die wir verfügen. Die Signale auf körpersprachlicher Ebene entsprechen nicht direkt unserer verbalen Sprache, die wir ja laufend benutzen. Sie ist sehr viel enger mit unseren Emotionen, als mit unserem Verstand verknüpft. Samy Molcho, Pantomime und Lehrer, drückte das wunderbar aus: “Der Körper ist der Handschuh der Seele, seine Sprache das Wort des Herzens.”
Und unser Gefühl lügt nicht. Der Verstand mag planen, kalkulieren und bewusstes Verhalten an den Tag legen. Unser Gefühl findet jedoch im Hier und Jetzt statt, es ist akut und momentbezogen. Körpersprache ist eine unmittelbare Reaktion auf alles, was in unserer direkten Umgebung für uns wahrnehmbar passiert – vor allem in direkten Kommunikationssituationen. Sie spricht und drückt aus, was in uns passiert, welche Haltung wir zu etwas einnehmen, welche Gefühle, wir zu einem Angebot, einer Situation oder einem Gesprächspartner haben.
Wer sehen kann, ist klar im Vorteil
Wichtig in diesem Zusammenhang: Wir fühlen noch bevor wir denken! Körpersprache zeigt meist sehr viel mehr und sehr viel deutlicher das, was wir wirklich meinen, anstelle von dem, was unser Mund verkündet. Oft genug sagen wir sogar das Gegenteil von dem, was wir eigentlich fühlen, denken oder anstreben. Wie nun können wir diese Signale entschlüsseln, für uns verständlich machen und nutzen?
Natürlich und kulturell
Dazu sollten wir schon einmal zwei Richtungen an Signalen unterscheiden. Es gibt Signale, die eine Art bewusste Vereinbarung sind. Beispielsweise, wenn wir mit Händen und Fingern zählen: “Eins, zwei, drei,…”. Dann weiß unser Gesprächspartner recht genau, dass es sich hier um einen Zahlencode handelt. Von diesen Signalen gibt es viele und sie sind mit dem Kulturkreis, in dem sie angewandt werden, verbunden.
Ein Beispiel: Wir Deutschen beginnen typischerweise mit der geschlossenen Faust zu zählen. Der Daumen steht für die eins, Zeige- und Mittelfinger sind zwei und drei. Die Vier braucht es schon etwas mehr Fingerfertigkeit, denn der Kleine am Rande will sich immer mit nach oben stellen, um die Fünfe voll zu machen. Amerikaner machen es handwerklich etwas geschickter. Denn sie beginnen mit dem Zeigefinger zu zählen, was wirklich einfacher ist, weil man bei der drei den kleinen Finger mit dem Daumen unterdrücken kann. Letzterer kommt erst bei der Fünf zum Einsatz.
Bei den Chinesen wird das noch ein wenig komplizierter, denn dort kann mit den Fingerzeichen von nur einer Hand gleich bis auf zehn gezählt werden. Missverständnisse zwischen Menschen aus unterschiedlichen Kulturen sind also eingebaut, sofern wir den Zeichencode des jeweils anderen nicht kennen.
Die dem Menschen angeborenen Signale sind dagegen über Kulturgrenzen hinweg verständlich. Sie leiten sich im Wesentlichen von unseren Körperteilen und deren Funktionen ab. Beispiele: Fassen wir uns während eines Gesprächs aud eine Äußerung des Gegenübers als direkte Reaktion hin ans Ohr, so kann das bedeuten: “Ich habe das noch nicht ganz verstanden”. So, als würden wir die Funktionstüchtigkeit unseres Ohres überprüfen. Fassen wir uns dagegen bei gleicher Situation an die Nase oder kneifen sie sogar zu, so kann das bedeuten: “Das, was du mir gerade sagst, stinkt mir. Ich kneife mir die Nase zu, damit ich es nicht riechen muss”. Doch ist das immer so? Klares JEIN. Körpersprache findet stets in Kontakt des sonstigen Geschehens statt. Unsere Nase kann also auch gejuckt haben und ans Ohr haben wir uns gefasst, weil uns dort die halblangen Haare kitzelten. Haltung, Mimik und Gestik sind, wie auch bei unserer verbalen Kommunikation, gekoppelt an alle anderen Vorgänge und Ereignisse der gerade stattfindenden Situation. Daher werden sie erst dann “sprechend”, und aussagekräftig, wenn diese kombiniert wahrgenommen und interpretiert werden.
Offen oder verschlossen, wahr oder falsch?
Grundlegende körpersprachliche Elemente sind das Öffnen und das Schließen. Eine entgegengestreckte, offene Hand bietet an, verschränkte Arme dagegen wehren eher ab. Ein offener Gesichtsausdruck signalisiert: “Ich bin offen für deine Ideen und Gedanken”. Zusammengekniffene Augen und ein Kopf in Schräglage machen Skepsis deutlich.
Die Kombination dieser Signale zeigt dem bewusst Wahrnehmenden recht deutlich an, ob sein Gegenüber die Wahrheit erzählt, mit seiner Meinung hinter dem Berg hält oder sogar lügt. Einfach zu erkennen? Nein, das nicht. Aber mit ein wenig Fachwissen und gutem Training sehr wohl erlernbar.
Eine kleine Checkliste zum Entschlüsseln des Codes
Hierarchie: Viele Signale zeigen die Beziehung der Gesprächspartner in Bezug auf ihre Stellung, Hierarchie an.
Timing: Gesten kommen fast immer VOR der verbalen Botschaft!
Natürlich oder kulturell: Angeborene (menschliche) Körpersprache oder vereinbarte Zeichen?
Positiv / Negativ: Aufwärtsgerichtete Bewegungen und Zeichen deuten meist Positives, abwärts gerichtete Negatives.
Mann / Frau: Unterschiedlicher Körperbau. Daraus ergeben sich mann- und frau-typische Bewegungen und Haltungen.
Kontext: Körpersprache ist echtzeitgebunden und muss im Kontext der aktuellen Situation gesehen werden.
Eine Welt voller Möglichkeiten
Für Professionals in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, aber auch für kommunikationsorientierte Privatpersonen bildet die Entschlüsselung der Körpersprache ganz hervorragende Möglichkeiten, ihre Kommunikationsfähigkeiten zu verbessern. Gesprächspartner können besser verstanden und die eigenen Botschaften klarer, wirkungsvoller mitgeteilt werden. Ob in politischen Begegnungen oder in Gesprächen zwischen Unternehmern und Betriebsräten, ob in Verkaufssituationen oder einfach im Zusammensein mit Menschen, Körpersprache ist stets dabei. Wir wollen verstanden werden. Wir wollen wissen, ob unsere Gesprächspartner tatsächlich meinen, was sie sagen. Wir wollen wissen, woran wir sind und klarer fühlen, wie wir selbst zu den Dingen stehen, die erörtert werden. All dies ist erlernbar und trainierbar. In ganz besonderen Situationen und bei wichtigen Verhandlungen werden oft Coaches für Körpersprache hinzugezogen, zum Beispiel als Kommunikationsbegleiter in Wirtschaft und Politik. Sie übernehmen die Aufgabe – parallel zur verbalen Auseinandersetzung – mit einer Analyse der körpersprachlichen Signale der Verhandlungspartner mehr Klarheit zu schaffen. Wer spricht über Tatsächliches? Wer konstruiert sich etwas zusammen und versucht, zu täuschen? Wer hat noch Zweifel, wer kann sich bereits anfreunden mit den erreichten Gesprächsergebnissen?
Was wäre, wenn sich die Politiker auf der Bühne der Welt besser verstehen würden? Was wäre, wenn wir uns in unserer eigenen, kleinen Welt besser verstehen würden?
Die Wahrheit liegt im Auge des Betrachter
von Karl Heinz A. Lorenz, Trainer bei Lorenz-Seminare